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Biobasiert – oder das Kreuz mit der Nachhaltigkeit

Gerade hatte ich ein Interview zur biobasierten Elastanfaser abgeschlossen, als mir beim Geschirrspülen plötzlich der Gedanke durch den Kopf schoss: Was fällt eigentlich alles unter den Begriff „biobasiert“? Das Internet spuckte Antworten auf diese Frage aus – und mit ihnen tat sich mir eine neue Welt auf. Eine Welt, an der seit Jahren gearbeitet wird, ohne dass ich es bemerkt hatte. Eine Welt, die unsere jetzige im wahrsten Sinne des Wortes nachhaltig verändern wird. Nichts wird so sein wie vorher.

Das Wörtchen „biobasiert“ findet sich in „biobasierter Wirtschaft“ wieder, auch „Bioökonomie“ genannt. Ihr Ziel ist es, erdölbasierte Produkte durch biobasierte zu ersetzen. Denn die Industrie und damit auch die Wirtschaft haben ein Problem: Das Öl neigt sich dem Ende zu – keine wirklich neue Information.

Geforscht wird schon lange – die Öffentlichkeit weiß nur nichts davon

Neu für mich ist aber, dass an der Bioökonomie bereits seit 2006 auf höchster nationaler Ebene gearbeitet wird. Damals wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die erste Fördermaßnahme dazu ins Leben gerufen. 2009 wurde dann vom BAMBF und vom Bundesministerium Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) ein Bioökonomierat als Beratungsgremium der Regierung eingesetzt, der postulierte: „Mit ihren vielfältigen Möglichkeiten kann die Bioökonomie einen wichtigen Beitrag zur Lösung globaler Probleme leisten.“ Ein Jahr später erwirtschaftete die Biotechnologie in Deutschland mit rund 30.000 Arbeitskräften bereits rund 2,2 Mrd. Euro.

Nachdem der erste Bioökonomierat im Frühjahr 2012 seine Arbeit abgeschlossen hatte, wurde im Sommer desselben Jahres unter gleichem Namen ein neues „unabhängiges“ Beratungsgremium aufgebaut. Dort tummeln sich nun Wissenschaftler und Unternehmen, die von der Bioökonomie und von den von ihnen selbst empfohlenen Fördermitteln direkt profitieren. Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), wie z.B. Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, sind ausgeschlossen.

Ein Jahr später wurde der Kreis der Ministerien, die an einer „Politikstrategie BioÖkonomie“ arbeiten, erweitert: Neu dazu kamen die Bundesministerien des Inneren (BMI), der Wirtschaft und Energie (BMWi), der Umwelt, des Naturschutzes, des Baus und der Reaktorsicherheit (BMUB), der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Auswärtige Amt (AA).

Das Brisante an der Aufzählung: Elf Jahre lang wurde in eine Richtung geforscht, die das Weltgefüge beeinflussen wird, und erst jetzt werden die beiden Ministerien, die ihren Blick über die nationalen Grenzen werfen sollen, mit einbezogen.

Mit der biobasierten Wirtschaft bricht ein neues Zeitalter an

Das Hauptziel, das die Bundesregierung und die Wirtschaft verfolgen, lautet zusammengefasst: Weg vom Öl, hin zur Biomasse, wobei diese aus Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen gewonnen wird. Gleichzeitig gibt man vor, dass man trotz Wachstum und Arbeitsplatzsicherung die Ernährung der Weltbevölkerung sichern möchte. Und ja, man möchte auch die biologische Vielfalt (Biodiversität) fördern und den Wirtschaftsstandort Deutschland zukunftsfähig halten. Ziele, die widersprüchlicher nicht sein können.

Manche sind sogar zynisch, wenn man bedenkt, dass man in der Welthungerhilfe davon ausgeht, dass derzeit zwei Milliarden Menschen an Mangelernährung leiden, und wir schon jetzt 30 Prozent unserer gesamten Biomasse importieren. Zudem werden der Klimawandel und das Anwachsen der Weltbevölkerung (2050: ca. 9,5 Mrd. Menschen) die Lage noch verschärfen.

Dies weiß man auch im BMZ. Auf seiner Webseite ist zu lesen: „Gutes Acker- und Weide­land wird immer knapper: In den ver­gan­ge­nen 40 Jahren musste ein Drittel der welt­weiten Acker­flächen aufgegeben werden.“ „Boden­degradierung“ heißt der Prozess, bei dem die Böden aufgrund von Wasser­- und Wind­erosion, Ver­nässung und Ver­salzung, chemischer, physi­ka­li­scher und bio­lo­gischer De­gra­die­rung so schlecht werden, dass sie sich für land­wirt­schaft­liche Nutzung nicht mehr eignen. Gleichzeitig wächst der Bedarf an Siedlungs- und Verkehrsfläche. Die meisten Entwicklungen gehen zu Lasten des Regenwaldes und damit der Artenvielfalt (Biodiversität).

Von Nachhaltigkeit kann keine Rede sein

Die biobasierte Wirtschaft ist also gar nicht so nachhaltig, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Sie wird vielmehr die derzeitige Flächenkonkurrenz noch verschärfen, denn plötzlich zerren alle am Ackerland: Die Land- und Forstwirtschaft, die Energiewirtschaft, die Fischerei- und Aquakultur, die Pflanzen- und Tierzüchtung, die Chemie- und Pharmaindustrie, die Nahrungsmittelindustrie, die industrielle Biotechnologie, die Holz-, Papier- sowie Textilindustrie und eben auch die Sportartikelindustrie.

Auf Regierungsebene ist man trotzdem weit davon entfernt, NGOs wie z.B. die Welthungerhilfe oder den Naturschutzbund Deutschland (NABU) in den Dialog einzubinden. „Die Verbände oder zivilgesellschaftlichen Organisationen sind allgemein in der Debatte gar nicht beteiligt“, berichtet Dr. Steffi Ober (Foto), Mitglied des NABU, in einem Interview von der “Halbzeitkonferenz Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie 2030”, die am 5. Juni 2014 in Berlin stattfand und wo in Bezug auf Bioökonomie erste Bilanz gezogen wurde (umweltbundesamt.de/service/green-radio/biooekonomie-kann-wirtschaft-gruen-sein).
Bild: NABU

Auch bezüglich des Dialogs mit der Bevölkerung haben die Ministerien und die Regierung ihre eigenen Vorstellungen. Dieser soll zwar ergebnisoffen geführt werden, gleichzeitig steht jetzt schon das Ziel fest: Man müsse in der Bevölkerung Akzeptanz, ja sogar „Neugier und Begeisterung“ für neue Technologien, u.a. auch für die Gentechnik, entwickeln. Gentechnik, die bisher in Deutschland noch in ihre Schranken verwiesen ist. Doch auch das soll sich ändern. Im Eckpunktepapier des Bioökonomierates von 2013 heißt es dazu: „In erster Linie müssen Innovationshürden auf dem Weg zur intelligenten Nutzung des neuen Wissens identifiziert, adressiert und eliminiert werden.“

Wie es trotzdem gelingen könnte

Bioökonomie kann ein Erfolg werden, wenn die Hierarchie der Ziele umgebaut wird. Oberste Priorität muss dabei die Würde aller Menschen auf dieser Welt haben. Orientierungshilfe für die Gewichtung der weiteren Ziele bietet die Welthungerhilfe. Demnach müssen zuerst Mensch und Tier gesund ernährt werden (food, feed). Ist dies erreicht, darf ein Rohstoff auch industriell genutzt werden (fiber). Zuletzt kann er für die Energieproduktion eingesetzt werden (fuel).

Innerhalb dieser Zielsetzungen gilt es, die sogenannte Kaskadennutzung zu präferieren. Dies bedeutet, dass jeder Rohstoff so lange, so häufig und so effizient wie möglich genutzt werden muss. Auch über die Kompostierbarkeit der biobasierten Produkte am Ende der Verwertungskette muss nachgedacht werden.

Der große Knackpunkt dabei ist sicher der Aspekt des Wachstums. Neben dem technischen und wirtschaftlichen Umbau ist auch ein „Umbau“ unseres Denkens und Konsumverhaltens notwendig, denn ein „Weiter wie bisher“ verschärft die Konkurrenz um Nutzungsflächen, was zu Hunger, Krieg, Flucht und Tod führt. Ein Szenario, das auch der Bericht des Weltklimarates bestätigt, der Ende März dieses Jahres veröffentlicht wurde.

Es sage also niemand, er habe es nicht gewusst.

Bioraffineriemodell (Bild: © Fraunhofer UMSICH)

Anmerkung zum Bild des Bioraffineriemodells

Wie man mit Bildsprache Meinung bildet: Ein Mann krabbelt auf der kleinen Raffinerie herum, als ob er auf einem Klettergerüst auf dem Spielplatz sei. Herrliches Wetter begleitet ihn bei seinem Treiben. Auf dem Anhänger des Traktors ein paar Ähren. Ertragreiche Felder wie kleine Teppiche – auf einem lagert schon der Nachschub. Keine Straßen. Ein Feld- und Wiesenweg führt direkt zur Fabrik, die so idyllisch in der Landschaft steht, dass man begeistert daneben wohnt, mit großer Terrasse zur schönen Werksseite.

Irritierend: Die beiden übergroßen Strahler links von der Fabrik. Zwei Kühe würden besser ins Ensemble passen. Oder wegen der Artenvielfalt und des Streichelreflexes des Betrachters ein Kälbchen und ein Lämmchen?

Dorothea Weniger