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Interview mit Gerd in der outdoor.markt Juni 2020

Sportsella Sport verkäufer schulen Logo Outdoor Markt

Corona ist ein Brandbeschleuniger“

Mit Gerd Bittl-Fröhlich, dem Geschäftsführer des E-Learning-Portals Sportsella, sprach der
outdoor.markt -darüber, was die Coronakrise für den Handel bedeutet, wie sie sich auf sein Unternehmen auswirkt – und wieso für stationäre Händler die Einrichtung eines Webshops kein Allheilmittel ist.

outdoor.markt: Herr Bittl-Fröhlich, der Lockdown im März kam für uns alle sehr plötzlich und unerwartet. Wie haben Sie auf diese Situation reagiert, und wie nehmen Sie die Reaktion der Branche wahr?

Gerd Bittl-Fröhlich: Zuerst entsteht mal eine Art Schockstarre, wenn man derart ausgebremst wird bei allem, wo man seine Energie reinsteckt, sei es in der Familie oder im Geschäft. Aber eine solche Situation ist auch eine Gelegenheit, sich zu besinnen und sich alles, was man tut beziehungsweise bisher getan hat – und vor allem wie man es getan hat–, kritisch anzuschauen. Für mich bedeutet so etwas immer auch Chance und Aufbruch.

Was hieß und heißt das für Ihr Unternehmen Sportsella?

Wir haben eine klare Botschaft vermittelt und gesagt: Ihr habt jetzt für alles das Zeit, wofür ihr sonst keine Zeit habt. Für Fortbildung, Training und Sport draußen in der Natur. Verharrt nicht in eurer Schockstarre!

Ist das angekommen?

Wir haben mit Sportsella sehr viel positive Resonanz bekommen, sowohl mit Worten als auch in Form von Neuanmeldungen für unsere E-Learning-Angebote. Einmal hatten wir etwa 300 Neuanmeldungen in einer Woche, das dauert normalerweise natürlich viel länger, bis wir einen solchen Zuwachs erreichen. Aus Österreich kam sehr viel, und auch die Schweiz ist aufgewacht, das ist wirklich sehr erfrischend. Auch viele Hersteller haben uns unterstützt, da können wir auch einige Neuzugänge vermelden, Tecnica und Polartech beispielsweise. Ich freue mich über den Zuspruch, den wir erhalten haben, das ist für uns auch eine Bestätigung. Und es rückt vielen vielleicht ins Bewusstsein, dass E-Learning ein gutes und wichtiges Instrument ist.

Was lernen die Kunden bei den Schulungen auf Sportsella?

Momentan bieten über 50 Marken über uns ihre Produktschulungen an, mit ihren spezifischen Produktinhalten. Die Kunden, also die Verkäufer aus den Sportgeschäften, lernen dabei, was sie über das Produkt wissen müssen, wie sie den Verbraucher zum Produkt beraten können und gegebenenfalls mit dessen Nachfragen und Einwänden umgehen. Es geht natürlich darum, möglichst mit einem Verkauf abzuschließen.

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, oder?

Aus meiner Sicht haben wir momentan das Problem, dass wir zu viele zu Fachberatern ausbilden und nicht zu Verkäufern. Sie lernen oft nicht mehr, dass es natürlich auch darum geht, den Kunden zum Kauf zu bewegen. Viele verhalten sich eher wie Roboter und erklären, das Rad hat 42 Gänge oder der Rucksack hat dieses und jene Feature etc. Stattdessen kommt es darauf an, zu verstehen, was der Kunde eigentlich will – der will nämlich keinen Rucksack kaufen, sondern einen schönen Tag am Berg.

Um sich als Verkäufer in diesem Sinne weiterzuentwickeln, bedarf es aber mehr als Produktschulungen …

Für die Verkäufer, die sich damit tiefer auseinandersetzen wollen, haben wir mit Sportsella das Programm „Anatomie des Verkaufens“ entwickelt. Das haben wir zufällig während der Coronakrise gestartet, geplant war es schon länger. Mit dieser Schulung können sie das Verkaufen vertieft lernen. Also: Wie ist eigentlich meine Einstellung zu dem Job, meinem Verkaufsgespräch, zu meinem Kunden. Mag ich meinen Kunden? Denn den Kunden zu mögen ist eine entscheidende Voraussetzung für einen Verkäufer, sonst kommt er nie auf eine Ebene, wo er mit ihm über ein 5.000-Euro-Rad oder die Ausrüstung für eine Himalaya-Tour reden kann. Deshalb ist alles, was wir im Rahmen von „Anatomie des Verkaufens“ vermitteln, darauf aufgebaut, dass es darum geht, wie der Verkäufer persönlich, individuell mit dem Verkaufen umgeht. Ich glaube, dass durch Corona dieses Individuelle noch stärker betont wird, weil wir alle mehr gelernt haben, was uns wirklich wichtig ist.

Bezieht sich das allein auf den Verkäufer im stationären Handel?

Nein, es geht sowohl um das Verkaufen im stationären als auch im Online-Handel. Bei einem Telefongespräch für den E-Commerce ist es unter Umständen noch wichtiger, dass der Verkäufer die individuelle, persönliche Ebene beherrscht. Anders gesagt: Da ist die Herausforderung eher noch größer, auf den Kunden individuell einzugehen, eine persönliche Beziehung herzustellen. Grundsätzlich sehe ich das, was wir machen, weit weg vom klassischen Marketinggedanken, bei dem es darauf ankommt, eine bestimmte Jacke zum Beispiel zu verkaufen; der Verkäufer muss dagegen Hunderte Jacken für Hunderte verschiedene Kunden verkaufen. Deshalb nutzt ihm das reine Marketing nichts, sondern er muss lernen, wie er mit dem Kunden umgeht, zu vermitteln: Ich bin da, wo du bist, lieber Kunde … ich habe dich verstanden. Und das Feedback, das wir bekommen, zeigt uns, dass wir das mit unserem Angebot erreichen. Dass es kein Marketing-Blabla ist.

Mit welchen Schulungsformen und -Mitteln arbeiten Sie?

Wir nutzen alle technologischen Möglichkeiten. Bei der Produktschulung kann man in einem Video-Kurztrailer das Produkt erklären. Innerhalb solcher E-Learning-Formate gibt es dann beispielsweise auch Hinweise, wo man etwas vertiefen kann, und Begriffserklärungen, die über einen Button abrufbar und über eine Datenbank hinterlegt sind. Wir haben aber auch Vor-Ort-Veranstaltungen, etwa bei der „Maier Sports Academy“ oder bei der Polartech-Tour durch die Läden zu bestimmten Themen. Und bei unserer „Anatomie des Verkaufens“ haben wir auch Coaches, die zum Beispiel mit dem Lernenden am Telefon Inhalte durchgehen. Der Verkäufer kann dabei also gezielt mit dem Coach arbeiten. Dieses Training ist auch kostenpflichtig, während unsere E-Learning-Angebote in der Regel kostenlos für den Verkäufer sind. Also, wir haben viele verschiedene Ebenen, wie wir unsere Kunden ansprechen, es geht weit über E-Learning hinaus.

Wird das wachsende Interesse an E-Learning und an Verkäuferfortbildung auch anhalten, wenn die Coronakrise mal überstanden ist? 

Ich kann natürlich zurzeit auch nicht sagen, wie es weitergeht, allgemein oder für uns mit Sportsella, aber Corona ist für mich ein Brandbeschleuinger für viele Prozesse. Es gibt viele Abläufe, die immer weiter laufen, wie sie eben laufen, und bei denen keiner infrage stellt, ob sie Sinn machen oder nicht. Die Pandemie gibt jedem die Chance, das zu hinterfragen.

Wird der stationäre Handel der Verlierer sein?

Nein, ich glaube, er hat mehr denn je seine Bedeutung. Gerade dadurch, dass wir jetzt alle eingesperrt waren, merken wir doch deutlich, wie sehr wir das vermissen, durch die Fußgängerzone zu laufen und in die Shops hineinzugehen, dort die Produkte anzuschauen und mit jemandem zu reden. Aber der stationäre Handel muss das Feld des reinen Fachhandels verlassen, er muss neue Ideen anbieten, neue Konzepte. Ich habe direkt nach dem Lockdown einen Post auf unserer Seite eingestellt und gefragt: „Are we going to open the same stores that we closed a couple of days ago?“ Und damit wollte ich genau auf diesen Punkt hinweisen. Die Resonanz war riesig.

An welche Ideen denken Sie?

Viel mehr Händler sollten etwa dazu übergehen, den Kunden Termine anzubieten, wie es, um ein Beispiel zu nennen, Keller Sports in München tut. Wir selbst haben die Aktion „myf1rst5“ gestartet, einen virtuellen 5-Kilometer-Lauf.  Da können Sportgeschäfte als Partner einsteigen. (siehe Kasten oben, d. Red.) Das sind mal zwei Beispiele. Es kommt aber grundsätzlich auf die Haltung an. Es gibt Händler, die von „Gästen“ statt von „Kunden“ sprechen. Das zeigt schon die andere Denkweise an, den Shop in Bezug auf den Kunden mehr wie ein Hotel zu sehen. Was viele noch nicht begriffen haben, ist, dass es bei der Vielfalt der Kommunikationskanäle heute ein Geschenk ist, wenn der Kunde den Laden betritt – und dann muss ich als Verkäufer den Kunden mit allen Fähigkeiten, die ich hab, abholen. Klar höre ich von den Leuten aus der Praxis, dass sie im Druck des alltäglichen Geschäfts solche Ideen nicht umsetzen können. Aber wir formen die Dinge ja in unserem Geiste vor. Der Bergsteiger hat den Berg in Gedanken schon bestiegen, bevor er oben war – sonst kommt er nie an.

Was kennzeichnet den Kunden aus Ihrer Sicht heutzutage?

Der Kunde kommt nicht in den Laden und sagt: „Ich will so und so viel Euro ausgeben für einen Rucksack mit diesen und jenen Features.“ Er kommt rein und sagt: „Sonntag, Tutzigner Hütte. Hab gehört, da gibt es einen tollen Kaffee. Für die Tour brauche ich dringend neue Schuhe.“ Dann kommt es darauf an, dass der Verkäufer sich einlässt auf den Kunden. Vielleicht stellt er irgendwann beispielsweise die Frage: Haben Sie eine Trinkflasche? Oder: Haben Sie einen Stock? So bauen sich Beziehungen auf. Das können aber nur geschulte Verkäufer und solche, die dafür in gewissem Maße auch „geboren“ sind. Sie müssen natürlich wissen, was es technisch mit dem Produkt auf sich hat, und auch selbst Erfahrung mit Outdoor und mit den Produkten haben, um richtig beraten zu können.

Sind Ihrem Eindruck nach viele auf dem Weg, die richtigen Lehren aus der Coronakrise zu ziehen?

Ich glaube, dass zurzeit in den Köpfen viel passiert. Aber ich habe bei vielen Gesprächen mit Händlern auch gemerkt, dass sie sich zum Beispiel keine Gedanken darüber gemacht hatten, was sie, als sie die Geschäfte wieder aufsperren durften, ihren Kunden anbieten sollen. Sie haben dadurch vielleicht auch Chancen verpasst. Andererseits hatten viele schon vorher die Zeichen der Zeit erkannt und gehen weiter ihren Weg – ob es Bergzeit, Sport Schuster, Engelhorn, Follow me, Keller Sports oder andere sind.

Das heißt, die Coronakrise zeigt auf, wer gut aufgestellt ist und wer nicht?

Ja, und sie ist eine Chance für -Könner, wie ich gerne sage.

Zum Beispiel eine Chance, zu erkennen, dass man unbedingt einen Webshop braucht, falls man noch keinen hatte?

Wenn ein Shop vom Grundsatz, von seinem Konzept her nicht funktioniert, hilft es auch nicht, wenn der Händler einen Webshop aufmacht. Aber die Digitalisierung war noch nie der Gegner des Handels, auch Amazon nicht. Sie hat nur Dinge offenbar gemacht, die ohnehin im Argen liegen. Genauso ist es jetzt mit Corona: Jetzt kommen falsche Ansätze und Strukturen zum Vorschein, die es schon vorher gab. Klar, manche versuchen gerne, einen Schuldigen zu finden, indem sie auf den „bösen Amazon“ oder das „böse E-Commerce“ zeigen. Aber es hilft nicht,  die Digitalisierung infrage zu stellen, die ist nicht aufzuhalten. Umgekehrt, wie gesagt, wird sich auch kein Händler durch einen Webshop retten, der nicht als Laden ein gutes Konzept hat. Auf ein gutes Grundkonzept kommt es an.

Vielen Dank für das Gespräch!

 


Gerd Bittl-Fröhlich (54) wuchs im elterlichen Sporthaus „Sport Bittl“, wo er auch sechs Jahre Geschäftsführer war, in die Outdoor- und  Sportbranche hinein. Deren Entwicklungen erlebt er bereits seit -Jahrzehnten mit, inzwischen seit Langem als Unternehmer.


Das ist Sportsella

Sportsella ist das führende E-Learning-Portal im Sportbusiness. Es wurde 2005 gegründet und bietet Fachverkäufern im Sporthandel kostenlose E-Learnings an,  die es ihnen ermöglicht, unabhängig von Ort und Zeit ihre Fortbildung eigenverantwortlich voranzutreiben. Für die Industrie ist das Portal die Chance, durch Hervorheben des markeneignenen USPs den Vertreterteams ein 24/7-Schulungsangebot zur Verfügung zu stellen. Seit 2007 ist Gerd Bittl-Fröhlich alleiiger Inhaber von Sportsella.

www.sportsella.com


myf1rst5

Bei dem von Sportsella geschaffenen virtuellen 5-Kilometer-Lauf-Event starten die Teilnehmer zu wechselnden Terminen (zwei Events pro Monat) jeder für sich und mit eigener Strecke vor der eigenen Haustüre für denselben Lauf. Für den Eventcharakter und das Erfolgserlebnis sorgen ausdruckbare Startnummern und eine Teilnehmer-Urkunde, die jeder Läufer nach dem Hochladen seiner Runde automatisch erhält. Auf der Mitgliederplattform www.myf1rst5.de können sich die Hobbyläufer mit Gleichgesinnten austauschen oder Tipps vom Profi holen. Sportshops können gegen eine Organisationsgebühr von 600 Euro zum exklusiven Stadtpartner werden – dann laufen alle Teilnehmer für ihn und seine Stadt. Der Fachhändler ist dadurch prominent sicht- und greifbar für eine klar definierte Zielgruppe von Laufinteressierten und sendet ein positives Signal an die Community.